Wie die Welt von morgen aussehen wird, hängt in grossem Masse von der Einbildungskraft jener ab, die gerade jetzt lesen lernen.
(Astrid Lindgren)
In meinem Literatur-Blog stelle ich immer nur Bücher vor, die ich gerne ein zweites Mal lese, obwohl ich das sonst eigentlich kaum mache. Ich sehe mir Filme normalerweise auch kein zweites Mal an.
Der Roman „Tell“ von Joachim B. Schmidt, herausgegeben vom Diogenes Verlag, ist mir von meiner Kollegin Lotti Hüssy empfohlen worden, und ich mache ihn hier gerne auch meiner Community schmackhaft.
Zur Tell-Legende (gemäss Wikipedia):
Nach der Tell-Legende im Weissen Buch von Sarnen lässt der habsburgische Landvogt Gessler zu Altdorf (under die linden ze Ure) einen Hut (Gesslerhut) auf eine Stange stecken und befiehlt den einheimischen Untertanen, diesen jedes Mal zu grüssen, wenn sie an ihm vorübergehen. Ein «redlicher Mann» genannt Tell, der heimlich im Bund mit Stauffacher ist, verweigert den Gruss, und der Vogt befiehlt ihm, mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schiessen. Tell tut widerstrebend, wie ihm geheissen, und trifft den Apfel. Er wird gefragt, wozu er sich einen zweiten Pfeil genommen habe. Nachdem der Vogt ihm zusichert, er werde ihn nicht töten, antwortet Tell und sagt, wenn er sein Kind getroffen hätte, wäre der zweite Pfeil für den Vogt bestimmt gewesen. Daher lässt der Vogt ihn gefesselt auf seine Burg nach Küssnacht überführen, wo er lebenslang eingekerkert werden soll.
Auf dem Vierwaldstättersee aber bringt ein Sturm das Schiff in Gefahr und Tell wird seiner Fesseln entledigt, um das Boot zu lenken. Geschickt steuert er es gegen das Ufer, wo die Steilwand Axen sich erhebt, und springt dort auf eine hervorstehende Felsplatte, die bereits im Weissen Buch von Sarnen Tellsplatte (tellen blatten) heisst. Er eilt über die Berge nach Küssnacht und erwartet den heimkehrenden Vogt in einem Hohlweg, der Hohlen Gasse, und erschiesst ihn aus dem Hinterhalt mit der Armbrust. Tells Tyrannenmord ist der Auslöser zum bewaffneten Aufstand (dem «Burgenbruch»), der nach dem Sieg bei Morgarten (1315) die Eidgenossenschaft als reichsunmittelbare Regionalmacht etabliert.
Erstmals gedruckt wurde die Tellsgeschichte in der Chronik von Petermann Etterlin 1507.
Die Datierung auf 1307 geht auf Aegidius Tschudi zurück, ebenso die Angabe, Tells Kind sei nicht mehr als sechs Jahre alt gewesen. Tells Vornamen Wilhelm übernimmt Tschudi aus dem Tellenlied. Die Vornamen Walther für Tells Sohn und Herrmann für Gessler werden dagegen erst von Schiller (1804) eingeführt. Ebenfalls bei Tschudi, aber nicht in den frühesten Fassungen, wird berichtet, Tell habe 1315 in der Schlacht bei Morgarten mitgekämpft und 1354im Schächenbach beim Versuch, ein Kind vor dem Ertrinken zu retten, den Tod gefunden.
Schillers Drama ist wohl jedem Schweizer bekannt. Wie weit die Sage sich an die Wirklichkeit hält, ist umstritten. Auch dem berühmten Schriftsteller Max Frisch war die Handlung etwas suspekt. Er hat die Geschichte aus der Sicht von Landvogt Gessler erzählt, der nach seiner Meinung eher nicht der beschriebene Tyrann war, sondern ein gutmütiger, dicklicher Ritter, den es ins Gebirgsland verschlagen hat, wo er, vom Föhn geplagt, ständig ans Heimkehren dachte.
Sabine Werner ist den literarischen Quellen treu geblieben, erzählt die Geschichte aber aus Sicht von Tells Sohn Walter, der immer ein bisschen vorlaut ist und vor Gessler mit den aussergewöhnlichen Schiesskünsten seines Vaters protzt. Wie das herausgekommen ist, ist sattsam bekannt.
Joachim B. Schmidt geht nun einen ganz anderen Weg. Er lässt alle Beteiligten der Tragödie zu Wort kommen. Jedes Kapitel ist mit dem Namen einer Person überschrieben, aus deren Sicht er gerade erzählt. Damit gibt er den Protagonisten eine Seele, verrät uns deren Charakter, erzählt von ihren Erfahrungen, Ängsten und Nöten. Der Leser erlebt die Geschichte als stiller Beobachter mit, ist dabei, wenn Gessler von seiner Frau und seiner Familie träumt, zu denen er am liebsten zurückkehren würde, anstatt sich mit trotzigen, aufrührerischen, engstirnigen Alphirten abzugeben.
Tell ist in seinem Roman nicht der stolze Held, eher ein introvertierter Eigenbrötler, welcher durch die Geschichte aber schliesslich zur tragischen Hauptfigur wird.
Mit ihm lernen wir den liebenswürdigen Walter kennen, eigentlich der Sohn von Tells Bruder, welcher nach einer Jagd in den Alpen verschollen ist. Tell hat daraufhin dessen Frau Hedwig geheiratet und den Sohn adoptiert. Hedwigs Mutter lebt mit ihnen zusammen, und sogar die heldenhafte Grossmutter Aloisa spielt eine wichtige Rolle. Der Dorfpfarrer Vater Taufer und seine Haushälterin Frau Furrer versuchen stets die Wogen zu glätten. Auf Seiten der Österreicher drängt der bösartige Hetzer Harras Gessler immer wieder dazu, das Volk mit grösster Härte anzupacken, obwohl dieser das eigentlich gar nicht möchte. So treibt die Geschichte ihrem dramatischen Ende entgegen, bis auch Tell in den Bergen verschwindet.
Diogenes ISBN 978-3-257-07200-6
Hier der Klappentext:
Joachim B. Schmidt greift nach den Schweizer Kronjuwelen und macht aus der Tell-Saga einen Pageturner, einen Thriller, ein Ereignis: Beinahe 100 schnelle Sequenzen und 20 verschiedene Protagonisten jagen wie auf einer Lunte dem explosiven Showdown entgegen.
Für mich war das Buch eine Offenbarung: Ich habe Tell hautnah erlebt, habe seine Umgebung, seine Familie, sein Tal und die Bewohner kennengelernt. Ich habe gelitten unter den schamhaften Ungerechtigkeiten der Landsknechte gegenüber der Bevölkerung, gelacht als Tell mit seiner Kuh über den See schwimmen musste, aber auch gezittert auf dem Dorfplatz von Altdorf, wo man Tell gefangengenommen hat und Walter davongeschlichen ist.
Lest selber! Ich kann das Buch bestens empfehlen! Fazit: Absolut spannend!
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